Mit der Auswahl des richtigen Quartiers für die integrierte energetische Stadtsanierung werden die entscheidenden Weichen für eine künftige Resilienz angesichts des Klimawandels und einer erfolgreichen Konzeptumsetzung gestellt.
Die Kernfragen: Welche grundsätzlichen Ziele möchten die handelnden Akteurinnen und Akteure mit der integrierten Quartiersentwicklung verfolgen? Welche Chancen und Anlässe bietet das letztendlich ausgewählte Quartier konkret für die Konzeptumsetzung? Ein fundierter Auswahlprozess beginnt bei der gesamtstädtischen Ebene. Er behält die langfristigen kommunalen Zukunftsziele und Strategien im Blick und grenzt schrittweise geeignete Quartiere aufgrund ihrer räumlichen und sozialen Rahmenbedingungen und ihrer Umsetzungschancen ein.
Das Quartier als klar abgegrenzter kommunaler Teilraum eignet sich besonders dazu, die strategischen Stadtentwicklungsziele aus gesamtstädtischen Konzepten projektorientiert und im überschaubaren Maßstab umzusetzen. Beispiele sind hier städtische Klimaschutzstrategien, aber auch Stadtentwicklungskonzepte, deren Ziele möglichst im Einklang mit der Umsetzung im Quartier stehen sollten. Dabei können die folgenden Fragestellungen leitend sein: Wie lässt sich ein Quartier bereits vor Projektstart sinnvoll abgrenzen? Welche inhaltlichen und formalen Aspekte sind zu beachten?
Der Begriff des Quartiers hat keine allgemeingültige Definition. Quartier wird je nach Kontext stadträumlich, baukulturell, sozial, administrativ und in Bezug auf Identität oder förderstrategisch verwendet.
Räumlich stellt ein Quartier einen geeigneten Maßstab dar, um kommunale Stadtentwicklungsziele mit der konkreten Maßstabsebene einzelner Sanierungsprojekte zu verbinden, ohne das einzelne Gebäude dabei isoliert von Wohnumfeld, Lagequalität und Investitionsklima zu betrachten.
Es ist daher sinnvoll, bei der Auswahl von Quartieren für die integrierte energetische Sanierung die eigenen kommunalen Entwicklungsziele im Blick zu behalten und sich nicht zu starr an formalen Kriterien einzelner Förderprogramme zu orientieren, zumal diese häufig flexibel gestaltbar sind.
Für die fachliche Glaubwürdigkeit in Bürgerbeteiligungsverfahren, in kommunalpolitischen Entscheidungsprozessen und insbesondere auch für langfristige Förderstrategien ist es wichtig, die energetische Quartiersentwicklung als Teil einer übergreifenden Stadtentwicklungsstrategie zu begreifen. Die Quartiere sollten nicht beliebig, sondern immer mit Blick auf die eigenen Entwicklungsziele ausgewählt werden – neben den Planungszielen der Kommunen selbst sind auch die Ziele potenzieller örtlicher Umsetzungspartnerinnen und Umsetzungspartner, wie beispielsweise wohnungswirtschaftliche Unternehmen, Energieversorger, aber auch engagierter bürgerschaftlicher Akteurinnen und Akteure zu berücksichtigen.
Besonders für kleine Kommunen ist der Blick auf regionale und interkommunale Ziele hilfreich, da sich durch das Erkennen gemeinsamer Ziele häufig Synergieeffekte bei der möglichen Förderantragstellung, Konzeptentwicklung und Umsetzung der energetischen Quartierssanierung bündeln lassen. Erste interkommunale Modellvorhaben der energetischen Quartierssanierung im Land existieren bereits.
Neben den übergeordneten Stadtentwicklungszielen sind auch die mit der Auswahl verbundenen spezifischen Ziele für das Quartier relevant. Sollen in dem Quartier durch die integrierte Konzeptentwicklung quartiersspezifische Probleme gelöst, Hemmnisse beseitigt, Leerstand und Sanierungsstau adressiert werden? Oder ist es Ziel, ein für die eigene Kommune möglichst repräsentatives Quartier auszuwählen und Sanierungsmaßnahmen und Beratungsangebote zu erproben, die im nächsten Schritt auf den gesamtstädtischen Gebäudebestand übertragen werden können? Insbesondere die Auswahl von Quartieren mit hohen Umsetzungshemmnissen und schwierigen Verhältnissen vor Ort, wie sie beispielsweise häufig in Gebietskulissen des Programms „Soziale Stadt“ zu finden sind, erfordert einen klaren Blick auf die Realisierungschancen und die notwendigen Ressourcen. Die folgenden Werkzeuge, eine Matrix zur Quartiersauswahl, erleichtern den Einstieg in eine zielorientierte Auswahl von Quartieren. Sie können aber auch dazu dienen, bereits ausgewählte Quartiere in Bezug auf ihre Eignung zu prüfen.
Ein integriertes Thema mit aktuell wachsender Bedeutung ist die kommunale Anpassung an den Klimawandel und seine zukünftigen Auswirkungen. Je nach Raumstruktur und Charakter der Kommune und des Quartiers sind die Herausforderungen dabei sehr divers – vom Schutz vor Hochwasser und Starkregenereignissen über die Vermeidung von städtischen Hitzeinseln bis hin zur Gebäudekühlung in sommerlichen Hitzeperioden. Darüber hinaus geht es auch um den langfristigen Ressourcenschutz, die Flächeneffizienz sowie die Aufwertung des Wohnumfeldes und die grundsätzliche Verbesserung der Lebensqualität im Quartier. Die Bandbreite der Themen und damit verbundenen Hemmnisse und Chancen sollte vor Auswahl und Priorisierung der ausgewählten Quartiere integriert betrachtet werden – der Leitfaden Klimawandelanpassung bietet hierzu eine Hilfestellung.
Der erste vorbereitende Schritt besteht darin, die Umsetzungs- und Entwicklungsziele gemeinsam zu definieren und mögliche Zielkonflikte zu erkennen – erst dann ist die Suche nach räumlichen Quartiersabgrenzungen sinnvoll. Bisherige Erfahrungen mit der Erstellung von energetischen Quartierskonzepten sprechen dafür, Quartiere im Vorfeld sehr bewusst abzugrenzen. Die Abgrenzung sollte städtebaulich nachvollziehbar und über Raumkanten klar gefasst werden. Der Zuschnitt sollte dabei möglichst so gewählt werden, dass repräsentative Gebäude und Ensembles abgedeckt und Quartiere mit klar ablesbarer Identität nicht willkürlich zerschnitten werden. Für die Analyse ist es darüber hinaus empfehlenswert, wenn die Quartiersabgrenzung deckungsgleich mit vorhandenen räumlichen und statistischen / administrativen Gebietsabgrenzungen (statistische Bezirke, Stadtzellen, Baublöcke, usw.) ist.
Wenn die Förderung der Quartiersentwicklung durch ein Förderprogramm angestrebt wird, muss die Quartiersabgrenzung und -auswahl die formalen Kriterien des Fördergebers erfüllen. Ein Beispiel ist das Merkblatt der KfW-Bankengruppe zum Programm „432 – Energetische Stadtsanierung“: Ein Quartier umfasst laut diesem „stets mehrere flächenmäßig zusammenhängende private und / oder öffentliche Gebäude inklusive der öffentlichen Infrastruktur“. Räumlich ist ein Quartier gemäß dieser Definition ein Gebiet unterhalb der Stadtteilgröße, jedoch mehr als eine Hausgruppe. In Bezug auf die inhaltlichen Ziele – über die allgemeinen Programmziele hinaus – müssen die schlussendlich entstehenden Quartierskonzepte im Einklang mit den kommunalen Zielen stehen. Das Programm überlässt den antragstellenden Kommunen damit einen großen Spielraum, die Weichen für den späteren Umsetzungserfolg frühzeitig und strategisch zu stellen.
Die Größe des Quartiers und die sinnvolle Anzahl an Gebäuden und Wohneinheiten hängt von der Bebauungs- und Siedlungsstruktur des repräsentativen Quartierstyps, von der Größe der Gesamtstadt und nicht zuletzt von den eigenen Ressourcen ab. Je nach Ziel der Quartierserneuerung kann es auch sinnvoll sein, zeitgleich mehrere Quartiere in der Kommune auszuwählen und eine parallele Konzeptentwicklung durchzuführen.
Ein großer Teil des Gebäudebestands Nordrhein-Westfalens lässt sich gemäß seiner räumlichen Struktur, der Gebäudetypologien, der baukulturellen und siedlungsgeschichtlichen Entwicklung und der soziodemografischen Rahmenbedingungen in repräsentative Quartierstypen einteilen. Diese Typisierung hilft dabei, bereits zu einem frühen Zeitpunkt den grundsätzlichen Handlungsrahmen einzuschätzen, da für die repräsentativen Quartierstypen und deren spezifischen Gebäudebestand bereits vielerorts Lösungen entwickelt und dokumentiert wurden.
Auf Grundlage der Typenbetrachtung können jenseits der rein energetischen Aspekte rasch weitere Handlungsschwerpunkte wie beispielsweise Baukultur und Denkmalschutz, Barrierefreiheit, Leerstandsmanagement, Wohnumfeld, usw. identifiziert werden.
Im Folgenden werden repräsentative Quartierstypen mit besonderem Fokus auf Nordrhein-Westfalen und die integrierte Quartierssanierung beschrieben.
Viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen haben historische Ortskerne mit mittelalterlichen Grundrissen. Sie zeichnen sich durch eine dichte, heterogene Bebauung, eine hohe Privateigentümerschaft und eine Vielzahl an historischen Gebäuden aus. Oft ist ihr Gebäudebestand durch kleine, nicht an aktuelle Wohnbedürfnisse angepasste, Grundrisse und individuelle Sanierungsrückstände geprägt. Diese Ausgangslage bietet Herausforderungen, aber auch eine Vielzahl an Chancen zukünftige Sanierungspotenziale betreffend. Weiter existiert oft eine Denkmalbereichssatzung oder ein objektbezogener Denkmalschutz, welches weitere technische und baukulturelle Anforderungen an Sanierungsmaßnahmen mit sich bringt. Wichtig ist hier, die relevanten Denkmalbehörden (vergl. Kap. 6.1) frühzeitig einzubinden. Problematisch sind zuweilen hohe Leerstände der Ladenlokale und geringe Budgets der Eigentümerinnen und Eigentümerin für Instandhaltungen oder Sanierungsmaßnahmen (vergl. Kap. 7.2). Die energetischen Potenziale ergeben sich hier durch die charakteristisch hohe städtebauliche Dichte – beispielsweise für Nahwärmenetze im Bestand. Gleichzeitig macht diese Dichte die betreffenden Altstadtquartiere häufig anfälliger für periodische Hitze- oder Starkregenereignisse.
Die Mischung aus Wohnen, Kleingewerbe, Handel sowie Gastronomie ist ebenfalls charakteristisch für historische Ortskerne. Neben Einzeleigentümerschaften sind Kleinstvermieter mit wenigen Immobilien typisch für solche Quartiere.
Räumlich sind Altstadtkerne häufig klar durch ehemalige Wallanlagen abgegrenzt, die auch die Identität und Wahrnehmung des Quartiers bei der Bewohnerschaft prägen. Es kann jedoch sinnvoll sein, die Abgrenzung des historischen Ortskerns für das Projekt um Nachbarquartiere mit starkem funktionalem Bezug zu erweitern, um so die Ansatzpunkte für die Umsetzungsphase zu erweitern.
Die in der Gründerzeit entstandenen Quartiere zeichnen sich durch eine hohe bauliche Dichte sowie durch eine Durchmischung mit gewerblichen Nutzungen aus. Meist prägen Mehrfamilienhäuser das Stadtbild, Plätze und kleinere Grünbereiche lockern die Stadtstruktur auf. Historische Gebäude sind häufig durch architektonisch und baukonstruktiv weniger anspruchsvolle Nachkriegsbauten ersetzt worden. Charakteristisch in vielen zentralen Lagen sind zudem altindustrielle Gebäudestrukturen, für die es oftmals in dieser Form keine Nachfolgenutzung gibt und daher brach liegen. Unsachgemäße Einzelsanierungen mit einseitigem Fokus auf Gebäudedämmung gefährden häufig das Stadtbild und den baukulturellen Wert des Gebäudebestands. Häufig stellen geringe Budgets der Bewohner- und Eigentümerschaft ein Modernisierungshemmnis dar. Energetische Potenziale liegen in der hohen städtebaulichen Dichte und den vergleichsweise günstigen Voraussetzungen für eine leitungsgebundene Wärmeversorgung. Bei hohem Versiegelungsgrad der Blockinnenhöfe ist häufig eine hohe Anfälligkeit gegenüber Hitze- und Starkregenereignissen gegeben.
Der Gebäudebestand ist, in Folge des zweiten Weltkrieges und des Wiederaufbaus in der Nachkriegszeit, bezüglich Baualter und Sanierungszustand häufig sehr heterogen.
Die im Zuge der Industrialisierung entstandenen Zechen- und Werkssiedlungen in den Metropolräumen des Ruhrgebiets und des Rheinlands zeichnen sich häufig durch einen hohen baukulturellen Wert aus. Viele herausragende Beispiele ihrer Epoche sind durch eine Denkmalbereichssatzung formal unter Schutz gestellt. Sanierungsrückstände und die Anzeichen unsachgemäßer Sanierung sind oft auffällig. Obwohl sich noch viele Zechen- und Werkssiedlungen im Portfolio kommunaler Wohnungsbaugesellschaften oder Genossenschaften befinden, sind etliche in den letzten Jahrzehnten auch privatisiert worden. Die Wohnungen in historischen Siedlungen sind, sowohl mit Blick auf die zur Verfügung stehende Wohnfläche als auch auf die bauliche Ausstattung, häufig weit entfernt von aktuellen Wohnstandards. Das macht hohe Investitionskosten und Eingriffstiefen erforderlich, die nur schwer mit dem baulichen Denkmalschutz zu vereinbaren sind.
Die Bestandssiedlungen bieten jedoch auch viele Chancen für quartiersbezogene Ansätze der Erneuerung: Die baukonstruktiven Charakteristika der Bestände sind oft gut dokumentiert, die serielle Bauweise bietet Möglichkeiten für Mengeneffekte und effiziente Kampagnen der Sanierung. Zu den unbedingten Stärken der Siedlungen zählt auch die Durchgrünung und die hohe Freiraumqualität, deren (Weiter-)Entwicklung auch Anknüpfungspunkt für die energetische Erneuerung einer Siedlung sein kann. Die Siedlungen sind häufig noch durch eine starke lokale Identität und einen hohen sozialen Zusammenhalt geprägt. Nachbarschaftliche Strategien der Sanierung und Wärmeversorgung finden hier vergleichsweise gute Umsetzungsbedingungen.
Der Quartiersumgriff ergibt sich aus den historischen, räumlichen und sozialen Grenzen der Siedlung. Gerade die vergleichsweise große Zechen- und Werkssiedlungen eignen sich aufgrund ihrer homogenen Strukturen gut für die integrierte Quartierssanierung.
Siedlungen der frühen 1950er und 1960er Jahre wurden als monofunktionale Wohnquartiere in der Nachkriegszeit angelegt, um die Wohnungsnot zu mildern. Die meist peripher gelegenen, autogerechten Standorte befinden sich überwiegend im Besitz wohnungswirtschaftlicher Unternehmen. Die Siedlungen besitzen hohes Freiflächenpotenzial. Mehrstöckige Zeilenbebauung ist vorherrschend; die großen Gebäudekubaturen in Verbindung mit einer oftmals einfachen Bauweise bedingen, je nach Sanierungsstand, häufig hohe Energieeffizienzpotenziale und Möglichkeiten der seriellen Sanierung. Durch die hohe Zahl der Verbraucherinnen und Verbraucher ergeben sich gute Chancen für die quartiersbezogene Wärmeversorgung.
Besonders in der Bürgerbeteiligung ist die Eigentümerstruktur bei der Auswahl von Themen zu berücksichtigen. Mieterinnen und Mieter haben nur ein geringes Handlungspotenzial in Bezug auf die Gebäudesanierung und investieren nicht selbst in Sanierungsmaßnahmen am Gebäude. Umso mehr stehen niedrigschwellige Maßnahmen des Energiesparens, aber auch nachbarschaftliche Aktionen zur Verbesserung des Wohnumfelds im Fokus. Die frühzeitige Einbindung der wohnungswirtschaftlichen Akteurinnen und Akteure im Quartier ist unerlässlich.
Einfamilienhäuser sind die dominante Wohn- und Siedlungsform im ländlichen Nordrhein-Westfalen. Eine zunehmende Motorisierung hat ab den 1950er und 1960er Jahren zu einer Suburbanisierungswelle geführt. Dies hat vielerorts homogene Einfamilienhausgebiete mit geringen städtebaulichen Dichten hervorgebracht. Der heutige Charakter dieser Gebiete ist gekennzeichnet von dezentralen Lagequalitäten mit schlechten Erreichbarkeiten von Versorgungseinrichtungen. Die Quartiere zeigen zudem häufig Überalterungstendenzen. Wenn die Kinder ausgezogen sind, ist die Wohnfläche für einen Ein- bis Zweipersonenhaushalt meist zu groß. Demzufolge steigt der Anteil der Wohnfläche pro Hausbewohnerin und Hausbewohner in überalterten Quartieren deutlich an. Wohnungstauschbörsen könnten hier ein Ansatz sein, um den Wohnungsdruck zu mindern, die soziale Durchmischung im Quartier zu fördern und somit der Überalterung im Quartier entgegenzuwirken.
Im Gegensatz zu Einfamilienhausgebieten in Ballungsrandlage finden sich im ländlich geprägten Raum noch häufiger günstige Grundstückspreise und größere Grundstücksflächen – jedoch hat der Nachfragedruck auch hier deutlich angezogen. Die Quartiere weisen sehr individuelle Zustände in Bezug auf den Sanierungszustand und die energetische Ausstattung auf. Zudem ist der Anteil der Flächenversiegelung in Einfamilienhausgebieten, zum Beispiel in Form von Schottergärten, vergleichsweise hoch. Demnach bieten sich auch hier im Rahmen der energetischen Quartierssanierung passende Ansätze an, um eine Flächenentsiegelung zu forcieren und somit das Mikroklima innerhalb der Quartiere zu verbessern. Mit Blick auf die häufiger werdenden Hitzeereignisse sind diese Maßnahmen auch zur Kühlung des Gebäudebestands besonders effektiv.
Einfamilienhausgebiete der 1950er bis 1970er Jahre in der Nähe zu Ballungsräumen unterscheiden sich von vergleichbaren Gebieten, die eher ländlich geprägt sind. Unter den Bewohnerinnen und Bewohnern finden sich häufig Berufspendlerinnen und Berufspendler in das nah gelegene Oberzentrum. Sie profitieren grundsätzlich von einer schnelleren Erreichbarkeit von Infrastruktureinrichtungen und einem besseren Mobilitätsangebot. Dies hat wiederum höhere Grundstückspreise und städtebauliche Dichten zur Folge. Insgesamt ist jedoch auch hier zu beachten, dass in den Einfamilienhausgebieten der Anteil der Wohnfläche pro Person hoch ist. Unter bestimmten Umständen bestehen in diesen Lagen Anknüpfungspotenziale zu benachbarten, verdichteten Wohnlagen mit Geschosswohnungsbau, wodurch eine Einbindung von Wohnungsbauunternehmen ermöglicht werden könnte. Die Gebiete zeichnen sich ebenfalls durch sehr individuelle Zustände in Bezug auf Sanierungszustand und energetische Ausstattung aus. Durch die steigenden Immobilienpreise und die hohe Nachfrage nach Immobilien haben Eigentümerinnen und Eigentümer häufig eine geringere Investitionsbereitschaft in die Instandhaltung des eigenen Hauses, da sich dies beim Wiederverkauf nicht rentiert. Mit Blick auf eine notwendige Klimafolgenanpassung in Einfamilienhaussiedlungen sind auch hier Maßnahmen zur Gebäudekühlung sowie zur Flächenentsiegelung zu forcieren.
Sozial zeichnen sich Einfamilienhausgebiete in Ballungsrandlagen häufig durch Tendenzen zur „Schlafstadt“ mit einer geringen nachbarschaftlichen Identifikation und wenig Engagement der Bewohnerschaft aus, bis hin zu Konflikten mit alteingesessener Bewohnerschaft benachbarter älterer Quartiere. Diese Ausgangslage ist relevant bei der Auswahl von Beteiligungsformaten im Quartier.
Großwohnsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre liegen häufig in städtischen Randlagen von Großstädten und zeichnen sich durch eine hohe Geschossigkeit und baukonstruktiv durch eine industrielle Fertigteilbauweise aus. Diese Siedlungen der Nachkriegsmoderne weisen bedingt durch das damalige Ideal der autogerechten Stadt üppig dimensionierte Flächen für den Individualverkehr, jedoch oft wenig attraktive Freiflächen auf. Aufgrund der modulartigen Bauweise mit großen Gebäudevolumen und der hohen städtebaulichen Dichte bieten Großwohnsiedlungen oft ein hohes Energieeffizienzpotenzial. Durch die hohe Zahl der Verbraucherinnen und Verbraucher ergeben sich gute Chancen für die quartiersbezogene Wärmeversorgung. Die großen Gebäude eignen sich häufig als Ankerkunden für Nahwärmenetze mit dem Potenzial, umliegende kleinteiligere Strukturen mitzuversorgen. Besonders die großen Dach- und Freiflächenpotenziale bieten hierbei Möglichkeiten für die innerstädtische Erzeugung von Strom aus Photovoltaik, Begrünung von Dach- und Fassadenflächen sowie Entsiegelungs- und Versickerungsmaßnahmen.
Die Großwohnsiedlungen befinden sich überwiegend im Besitz der Wohnungswirtschaft, die somit auch zentraler Akteur bei der Quartierserneuerung sind. Die Siedlungen sind oft von einer sozialen Entmischung und von Abwertungstendenzen betroffen. Der Fokus der Bewohnerinnen und Bewohner liegt dabei zumeist nicht auf der energetischen Erneuerung oder auf dem Klimaschutz, sondern häufig auf Aspekten der Wohnumfeldverbesserung, Nahversorgung und Mobilität.
Ländliche Ortslagen zeichnen sich durch eine lockere Bebauung aus. Meist sind Ansammlungen einiger Gebäude und / oder Höfe auszumachen, die sich außerhalb geschlossener Ortschaften befinden. Charakteristisch sind große Grundstücksflächen und oftmals lineare Strukturen der Streusiedlungen, der sogenannten Straßendörfer. Probleme können sich aufgrund von Überalterung und fehlenden Nachfolgeregelungen ergeben. Ländliche Ortslagen weisen häufig relativ große Flächenpotenziale für die Erzeugung erneuerbarer Energien auf – auch im Sinne funktionaler Anknüpfungspunkte zur Landwirtschaft (beispielsweise Bioenergie). Gleichzeitig sind die Lagen jedoch aufgrund geringer Dichte durch hohe Infrastrukturkosten für leitungsgebundene Energieversorgung geprägt.
Für ländliche Ortslagen und Dorfkerne gelten naturgemäß andere Bedingungen. Als Quartierstyp standen sie im Rahmen von energetischen Konzepten lange Zeit nicht im Vordergrund. Mittlerweile liegen Erfahrungswerte aus ersten Modellprojekten der energetischen Quartierssanierung in ländlich geprägten Räumen vor. Ländliche Ortslagen bestehen meist aus einzelnen, zusammenhängenden Hausgruppen und einigen Sondertypen (beispielsweise Bauernhöfe). Ein Quartier für die energetische Quartierssanierung sollte mehrere Gebäudetypen möglichst repräsentativ für viele vergleichbare Ortslagen enthalten.
Es ist sinnvoll, bei der Auswahl des Quartiers für die Konzeptentwicklung und Umsetzung, aufbauend auf den kommunalen Zielen und den stadträumlichen Rahmenbedingungen, gezielt zukünftige Umsetzungschancen zu berücksichtigen. Hierbei geht es darum, welche dynamischen Prozesse und Umbrüche im Quartier in den nächsten Jahren Ansatzpunkte für die erfolgreiche Quartierserneuerung bieten. Mögliche beispielhafte Anknüpfungspunkte im Folgenden im Überblick:
Geplante größere Umbau- oder Neubaumaßnahmen im Gebäude- und Infrastrukturbereich
Beabsichtigte Sanierungsmaßnahmen von Wohnungsbauunternehmen
Einbindung in gesamtstädtische Konzepte (Stadtentwicklungskonzept, Klimakonzept) oder kommunale Entwicklungsmaßnahmen
Einbindung in regionale und interkommunale Prozesse und Projekte (beispielsweise LEADER, Stadt-Umland-Verbünde)
Soziodemografische Umbrüche im Quartier (beispielsweise mittelfristige Überalterung mit Häufung von Leerständen)
Bürgerinitiativen mit konstruktivem Engagement rund um die Quartierserneuerung
Das nachfolgende Werkzeug einer Matrix zur Chancentypisierung von Quartieren erleichtert die Einschätzung von Umsetzungschancen und -hemmnissen im Quartier:
Für die Einschätzung von Umsetzungschancen der eigenen Quartiere ist es hilfreich, einen Blick auf repräsentative Modellquartiere als Vorreiter und deren Ausgangslage und Rahmenbedingungen zu werfen. Besonderes Augenmerk verdienen die Ergebnisse des Begleitforschungsprozesses zum KfW-Programm „432 – Energetische Stadtsanierung“, welches unter Federführung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung, kurz BBSR, von 2012 bis 2017 durchgeführt wurde.
In einem Arbeitsprozess mit 63 Pilotprojekten und deren Akteurinnen und Akteure hat die Begleitforschung Erkenntnisse über die Wirkung von integrierten energetischen Quartierskonzepten sowie die Arbeitsweisen von Sanierungsmanagements herausgearbeitet und die Quartiere nach ihren Startvoraussetzungen und den Umsetzungsbedingungen kategorisiert. Die Links zu den Modellquartieren und den Ergebnissen der Begleitforschung Verweise auf modellhafte Quartiere.